Keramik prägt die Region

 

Westerwälder Ton wird seit mindestens drei Jahrtausenden als heimischer Rohstoff genutzt

Ein großer Teil des im Westerwald geförderten Tons wird zur Weiterverarbeitung mit Bahn, Schiff oder Lkw ins In- und Ausland abtransportiert. Doch Ton und Keramik sind in Vergangenheit und Gegenwart die Region prägende Wirtschaftsfaktoren.

WESTERWALDKREIS. Funde aus der Hallstattzeit im „Höhrer Loch“ belegen, dass bereits vor 3000 Jahren im Westerwald Ton verarbeitet wurde. Tone waren die Grundlage der keramischen Entwicklung. Die Kannen- und Krugbäcker waren namensgebend für die Region um Höhr-Grenzhausen. Das deutsche Wörterbuch von 1873 beschreibt das Kannenbäckerland als „eine gegend reich an thon, der zu kannen, krügen, geschirr aller art verarbeitet wird“.

Ende des 16. Jahrhunderts wanderten berühmte Töpfermeister aus Siegburg, Lothringen und Raeren in das Kannenbäckerland ein. Sie verhalfen dem heimischen Töpfergewerbe zu einem nicht erwartenden Aufschwung. Die vermehrte Produktion musste verkauft werden. Während sogenannte Reffträger mit Körben auf dem Rücken meist billigen Kleinkram oder leicht beschädigte Ware in der näheren Umgebung anboten, reisten die „Landgänger“ mit der „Steinewaar“ durch In- und Ausland. Die Erzeugnisse der Westerwälder Keramik wurden weltweit bekannt. So waren die Landgänger rund 350 Jahre lang, bis ins 20. Jahrhundert hinein, quasi als „Botschafter“ des Kannenbäckerlandes unterwegs.

Tonkrüge für Mineralwasser

Die Herstellung von Tonkrügen für Mineralwasser begann circa im Jahr 1700. Viele Millionen Krüge wurden in Mogendorf, Hillscheid, Baumbach, Ransbach und Arzbach in Handarbeit gedreht. Erst ab 1910 wurden sie in großer Stückzahl maschinell hergestellt. Das Aus für diesen Industriezweig kam ziemlich plötzlich etwa 1928 mit der industriellen Herstellung von Glasflaschen.

Heute sind in circa 160 Keramikbetrieben etwa 3500 Menschen beschäftigt. Im Westerwald sind Zweidrittel aller rheinland-pfälzischen Unternehmen des Wirtschaftszweiges Haushalts- und Zierkeramik beheimatet. Sie tragen wesentlich auch zur touristischen Entwicklung bei. Alljährliche Veranstaltungen wie die Keramikmärkte in Höhr-Grenzhausen und Ransbach-Baumbach oder „Höhr-Grenzhausen brennt“ locken Zehntausende Auswärtige in die Region.

Der bekannte „Römertopf“ zum Garen von Lebensmitteln im Backofen wird ausschließlich in Ransbach-Baumbach hergestellt. Ebenso exklusiv befindet sich in Mogendorf die letzte deutsche industrielle Bierkrugproduktion und weltweit die einzige Fertigung von Bierkrügen mit handgezogenen Henkeln.

Für eine unglaubliche Warenmenge sorgt ein in der Ransbach-Baumbacher Innenstadt angesiedeltes Unternehmen, das sogar eigene Tongruben unterhält. Es stellt täglich 400 000 Töpfe her, und ist damit der größte Betrieb dieser Art in Europa. Bekannt sind vor allem die rot gebrannten Blumenübertöpfe.

Trotzdem war die Situation mal wesentlich besser. Wilfried Noll vom Westerwald Keramik Verband stellt fest: „Die klassische Westerwälder Keramik mit der graublauen Salzglasur trifft nicht mehr den Zeitgeist und die Unternehmen wurden zunehmend durch Produkte aus Billigländern ausgebootet. Vor 30 Jahren hatten die Keramikbetriebe noch mindestens 15000 Beschäftigte.“

Standbein Fliesenproduktion

Neben der Zierkeramik ist die Fliesenproduktion ein bedeutendes Standbein der keramischen Industrie in unserem Raum. Jährlich werden hier etwa zwölf Millionen Quadratmeter Wand- und Bodenfliesen hergestellt. Das sind knapp 20 Prozent der gesamtdeutschen Produktion. Sieben Fliesenwerke der Region haben weit über 1000 Beschäftigte.

Ihre Produkte werden an so manchen besonderen Plätzen eingesetzt: Michael Phelps, der achtmalige Goldmedaillen-Gewinner von Peking, hat auf ehemaligen Ton aus dem Westerwald angeschlagen, und natürlich alle anderen, die im Wasser waren auch. Seit den 70er-Jahren ist Westerwälder Ton im olympischen Einsatz. Die Schwimmbecken-Umrandungen für die olympischen Sportstätten wurden nämlich auch in Ransbach-Baumbach hergestellt.
Ulrich Mickley

Westerwälder Zeitung vom Donnerstag, 13. August 2009, Seite 19.

 

 

 

 

 

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